3.1 Problemorientierte Auswertung vorhandener Untersuchungsergebnisse
Über Auen, ihre Funktionsweisen sowie über ihre Lebensgemeinschaften liegen zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und andere, beispielsweise im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen gewonnenen, Daten vor. Wie eine Studie der ÖKON GmbH ausweist, liegen allein für die Elbe und ihre Auen mehr als 1.600 Einzelveröffentlichungen aus den verschiedensten Fachbereichen vor.
Die Literaturauswertung dient folgenden Zielen:
- Vorbereitung und Anlage einer elbespezifischen, nach Naturräumen gegliederten Zielarten-Datei,
- Vorbereitung der Parametrisierung der Lebensraumansprüche von Zielarten und -biozönosen,
- Auswahl von Indikatorartenen und -biozönosen,
- Einbeziehung von Forschungsergebnissen aus anderen Stromgebieten und Prüfung der Übertragbarkeit.
Die Erfassung, Analyse und Darstellung der Zusammenhänge zwischen der Abflußdynamik des Stroms und der Hochwasser- und Grundwasserdynamik der Auen ist wegen zeitlicher Dringlichkeit mit Vorrang zu bearbeiten und stellt darüberhinaus die unverzichtbare Grundlage für weitere Forschungsgebiete dar. Es sind insbesondere die folgenden Themen zu bearbeiten:
- Unterschiede zwischen der natürlichen und der anthoprogen veränderten Abflußdynamik des Stroms und ihre Auswirkungen auf den Wasserhaushalt der Auen, insbesondere auf Rhythmus und Dauer von Überflutungen und die Dynamik des Grundwasserflurabstands.
- Einfluß der Abfluß- und Grundwasserdynamik auf den ökologischen Zustand von Nebenelben, Altgewässern, Flutrinnen, Kleingewässern und Qualmwasserzonen.
- Bedeutung des Mikro-Reliefs für die Lebensgemeinschaften der Auen, insbesondere im Zusammenhang mit Veränderungen der Grundwasser-, Strömungs- und Morphodynamik der Auen.
Für die Ermittlung des naturnahen Zustandes ist zu klären, wie sich der Lebensraum Aue unter ursprünglichen, unbeeinflußten Bedingungen nach der letzten Eiszeit entwickelt hat. Von besonderer Bedeutung sind die Wechselwirkungen zwischen Morpho-, Abfluß-, Grundwasserdynamik, Böden und Bodenbildung sowie der Einfluß der natürlichen Vegetation auf den Wasserhaushalt. Neben der Elbetypischen Niedrigwassersituation sind Mittel- und Hochwasser mit zu behandeln.
Bei der Festlegung ökologischer Referenzzustände ist auf die räumlichen und zeitlichen Entstehungsbedingungen natürlicher Offenlandschaften und Charakterisierung von Sukzessionsabläufen besonderer Wert zu legen (Rekonstruktion der Urlandschaft).
Desweiteren ist aufzuzeigen, wie sich diese natürlichen Rahmenbedingungen durch anthropogene Eingriffe verändert haben. Veränderungen im Wasserhaushalt (z.B. Wasserspiegellagen, Strömungsverhältnisse, Grunwasserhorizonte) sind herauszuarbeiten. Um gravierende Veränderungen in der Ökologie der Auen zu kennzeichnen sind Zeitpunkte bzw. Perioden auszuwählen, in denen wesentliche technische bzw. wirtschaftliche Neuerungeneingeführt wurden; ökonomische Randbedingungen sind mit zu berücksichtigen.
Auf dieser natur- und kulturhistorischen Grundlage ist zu klären, welche natürlichen Rahmenbedingungen
- irreparabel gestört sind,
- prinzipiell wiederherstellbar sind,
- unter allen Umständen wiederhergestellt werden müssen,
- vor Beeinträchtigungen geschützt werden müssen,
Als Ergebnis der Leitbildentwicklung werden für konkrete, repräsentative Räume im Längsverlauf des Stromes listenmäßig erfaßbare und kartographisch darstellbare Zielgrößen erwartet. Dafür sollen vorzugsweise Parameter des Wasserhaushaltes und der Morphodynamiksowie einzelne Indikatorarten oder -biozönosen Verwendung finden. Diese Zielgrößen definieren unter den heutigen Bedingungen maximal erreichbaren Grad an Naturnähe.
Es ist Aufgabe der Forschung, diese in Frage kommenden bekannten Parameter auszuwählen bzw. neue vorzuschlagen. An dieser Stelle seien lediglich beispielhaft angeführt:
- Grundwasser: Flurabstand und seine Schwankungen, etc.
- Böden: nutzbare Feldkapazität, Lagerungsdichte, Durchwurzelbarkeit, Luftkapazität, etc.
- Abflußdynamik: Aufenthaltszeiten, saisonale Überflutungsdauer, Überflutungshöhen, Strömungsgeschwindigkeiten und Strömungsmuster, etc.
- Morphodynamik: Uferstrukturen, Lagerungsstabilität, Korngrößenzusammensetzung, Geländerelief, etc.,
- Flora und Fauna: Arten und Biozönosen, die einzelne oder mehrere Parameter indizieren.
3.4 Bewertung und Bioindikation
Die meisten z.Zt. gebräuchlichen Bewertungsverfahren für Fließgewässer und Auen verwenden eine mehrstufige Skala, die es ermöglicht, den aktuellen ökologischen Zustand von Biotopen und Biozönosen im Vergleich zum naturnahen Zustand einzuordnen. Eine Weiterentwicklung dieser in der Praxis bewährten Methode muß die bisher vernachlässigten strukturell/morphologischen Landschaftselemente stärker berücksichtigen. Desweiteren müssen neue Verfahren entwickelt werden, die zusätzlich die dynamischen Wechselwirkungen zwischen Strom und Aue sowie zwischen den Auen-Biotopen erfassen.
Bei der Erarbeitung neuer bzw. Weiterentwicklung bestehender Bewertungsverfahren sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
- Bewertung des Auenreliefs als Standortfaktor für Lebensgemeinschaften.
- Bewertung der räumlichen Lage unterschiedlicher Biotopotypen in ihrer Funktion als Lebensraum.
- Indikation der Auenentwicklung unter Einbeziehung der Dynamik von Standortfaktoren.
- Abschätzung des Entwicklungs- bzw. Alterungsprozesses von Auen-Biotopen.
- Schließen von Kenntnislücken hinsichtlich Aut- und Populationsökologie der für die Leitbilder ausgewählten Indikatorarten, insbesondere solche, die dazu geeignet sind natürliche von anthropogenen Veränderungen von Auen und ihren Lebensgemeinschaften zu indizieren.
Erarbeitung von Management-Konzepten für eine künftig dauerhaft-umweltgerechte Nutzung und Entwicklung der Überschwemmungsgebiete unter Einbeziehung wasserwirtschaftlicher, landwirtschaftlicher, touristischer und naturschutzfachlicher Nutzungsinteressen. Insbesondere sind die Möglichkeiten der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung in den Auen hinsichtlich der Erhaltung und Erweiterung naturnaher Biotope sowie einer großflächigen extensiven Nutzung zu untersuchen. Die Konzepte sind hinsichtlich ihrer ökologischen und sozio-ökonomischen Effekte zu bewerten.
3.5.1 Kiesabbau
Kiesabbau ist ein Eingriff in Nastur und Landschaft und unterliegt den entsprechenden Bestimmungen der Bundes- und Ländernaturschutzgesetzgebung. Im besonderen gilt das den Ländergesetzen übergeordnete Bergrecht.
Die Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung bezieht sich lediglich auf Einzelvorhaben, so daß die Einschätzung der Auswirkungen mehrerer Abbauprojekte unterschiedlicher Projektträger nicht Gegenstand der Gesetzgebung ist. Aus ökologischer Sicht ist eine großräumige, regionale Analyse zwingend erforderlich, da sich schädliche Effekte nicht nur summieren, sondern auch potenzieren können.
Zu den Auswirkungen des Kiesabbaus sind folgende Themen schwerpunktmäßig zu bearbeiten:
- Nah- und Fernwirkungen von Kiesabbauprojekten auf die Änderung der Grundwasserflurabstände,
- Abfluß- und Grundwasserdynamik,
- Veränderung des Regionalklimas durch die Entstehung großer Verdunstungsflächen,
- Grundwasserbeschaffenheit sowie
- Entwicklung der betroffenen Flora und Fauna.
Vorrang haben Forschungskonzepte, die bestehende Planungen zur Wiederherstellung natürlicher Retentionsräume durch Deichrückverlegung/ -schlitzung begleiten. Ziel ist es, Pilotvorhaben im Maßstab 1:1 zu initiieren, um die ökologischen Auswirkungen einer geänderten Hochwassersituation zu erfassen. In diesem Zusammenhang sind auch Fragen zur Auenrenaturierung zu beantworten, die insbesondere die ökologische Funktionsfähigkeit der bestehenden Altarme und Auenwälder sowie Konzepte zu deren Renaturierung einbeziehen. Dabei sind die Standörtlichen und biologischen Verknüpfungen zwischen Auen und angrenzenden Terrassen sowie die Funktionen von Seitenbächen und -flüssen und ihren Auen als Rückzugsgebiete oder Artenreservoir zur Wiederbesiedlung sanierter Flußabschnitte zu berücksichtigen.
3.5.3 Landbewirtschaftung im Überflutungsbereich
Forschung zum Problembereich Landbewirtschaftung in Auen soll analog zu Einzugsgebiet vorwiegend umsetzungsbegleitende Forschung sein. Bestehende oder geplante Modellprojekte sollen wissenschaftlich unterstützt und bezüglich ihrer ökologischen und sozio-ökonomischen Auswirkungen beurteilt werden. Vorrang haben solche Projekte, die über die rein stoffbezogene Betrachtung (z.B. Austragsminimierung eutrophierender Stoffe) hinausgehen und wege aufzeigen, wie strukturelle Beeinträchtigungen, z.B. Flächenzerschneidung, Bodenversiegelung, Nivellierung des Reliefs, Entwässerung, Flußbegradigung, u.a. rückgängig gemacht oder in ihren Auswirkungen gemildert werden können.
Basierend auf diesen Untersuchungen sollen im besonderen folgende Themen bearbeitet werden:
- Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit von Modellprojekten auf naturräumlich und sozio-ökonomisch unterschiedliche Rahmenbedingungen (vgl. Teilkonzept "Landnutzung im Einzugsgebiet", Abschnitt 3.2).
- Beurteilung der europäischen, bundes- und ländereigenen Programme zur Förderung der extensiven Landbewirtschaftung hinsichtlich ihrer ökologischen und wirtschaftlichen Effizienz in Auen.
- Prognose der volks- und betriebswirtschaftlichen Konsequenzen einer flächendeckend durchgeführten extensiven Grünlandwirtschaft in den Auen.
- Handlungsspielräume für eine Diversifizierung der Einkommensquellen landwirtschaftlicher Betriebe unter Einbeziehung von Tourismus, Landschaftspflege, Vertragsnaturschutz und Erzeugung von nachwachsenden Rohstoffen.
- Beurteilung unterschiedlicher Nutzungsvarianten auf ihre ökologische Verträglichkeit, insbesondere im Hinblick auf die Erzeugung nachwachsender Rohstoffe in den Auen.
- Prognose der Auswirkungen geänderter landwirtschaftlicher Nutzung auf Tier- und Pflanzenarten natürlicher Offenlandschaften.
- Nutzungsmöglichkeiten und Verwertungsalternativen von schadstoffkontaminierten Böden erzeugten Produkten.