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Probleme und Wissensdefizite
12.04.2000  
2 2. PROBLEME UND WISSENSDEFIZITE

2.1 Strukturvielfalt und Lebensgemeinschaften

Die Oberflächengestalt der Elbe-Auen, insbesondere an der Mittleren Elbe, ist das Ergebnis von drei aufeinander folgenden, sich zeitlich und räumlich überlagernden Prozessen: Das Urstromtal wurde vor 10.000 bis 12.000 Jahren durch die Schmelzwasser der Weichselvereisung geschaffen und erhielt durch die Verwehungen und Anhäufungen der feinen Talsande zu Dünen sein bis heute sichtbares Grob-Relief. In Wechselwirkungen mit diesem Relief hat sich die Morphodynamik des Elbe-Stroms vollzogen. Zahlreiche Flußschlingen entstanden, wurden abgeschnürt, überlagerten und vernetzten sich. Im Ergebnis entstand eine große Vielfalt an morphologischen Strukturen, die -zusammen mit der Abflußdynamik- bis heute ein hochdifferenziertes Angebot an Lebensräumen darstellen. Ebenso wichtig wie die Existenz unterschiedlicher Biotoptypen ist ihre räumliche Anordnung. Für die Elbe-Auen ist das Nebeneinander feuchter und trockener Lebensräume und der damit verbundene, jähe Wechsel des Mikroklimas auf kleinem Raum besonders ausgeprägt. Der Artenreichtumder Elbe-Auen ist im wesentlichen hierauf zurückzuführen. Mit dem Einsetzen des Deichbaus im Mittelalter und den ersten Strombaumaßnahmen wurden die Entstehungsbedingungen und damit die eigendynamische Erneuerung insbesondere der Altgewässer und des Mikro-Reliefs nach und nach unterbunden. Abschnittsweise entstanden durch Deichbau auch Ersatzbiotope, wie z.B. die binnendeichs gelegenen Qualmwasserzonen.

Der Kern des ökologischen und naturschutzfachlichen Problems besteht darin, daß die vorhandenen auentypischen Biotope altern und nicht durch natürliche Prozesse erneuert werden: Altgewässer verlanden, das Mikro-Relief ebnet sich ein, usw.. Diese Prozesse werden durch eine Reihe von anthropogenen Faktoren beschleunigt. Dazu gehören u.a.: Eutrophierung, Grundwasserabsenkung, mechanische Bodenbearbeitung. Das ungebremste Fortschreiten dieser Entwicklung führt mit der Zeit zu einer Vergleichmäßigung der für die Erhaltung des Artenreichtums notwendigen Standortdifferenzen.

Wissensdefizite bestehen generell zu allen Fragen, die mit den Wechselwirkungen zwischen den Strukturen und dem Wasserhaushalt der Auen in Zusammenhang stehen, insbesondere zu nennen sind:

  • Auswirkungen geringfügiger Änderungen von Überflutungshäufigkeit und -dauer sowie Schwankungen des Grundwassers auf das Klima des Mikro-Reliefs bzw. auf die spezialisierte Flora und Fauna.
  • Bedeutung des Standorttypen-Mosaiks bzw. kleinräumig wechselnder Standortunterschiede für die Zusammensetzung von Biozönosen.
  • Abschätzung der Verlandungsdauer von Altgewässern im Zusammenhang mit Schwankungen des Grundwassers und der Häufigkeit und Dauer von Überflutungen.
  • Ökologie der Qualmwasserzonen und Abschätzung der Folgewirkungen einer veränderten Überflutungsdynamik.
2.2 Bewertung des ökologischen Zustandes der Auen und der Uferrandstrukturen

Die in den folgenden Abschnitten 2.3 bis 2.7 genannten Problemfelder haben gemeinsam, daß zu ihrer Lösung wissenschaftlich begründete und reproduzierbare Bewertungen benötigt werden. Bewertungsverfahren für Fließgewässer und ihre Auen sind in der Vergangenheit vielfach entwickelt und erprobt worden. Ein wesentliches Wissensdefizit besteht in der Übertragbarkeit bestehender Bewertungssysteme auf die spezielle Situation der Elbe. Darüberhinaus beurteilen die bestehenden Verfahren meist nur den Ist-Zustand. Wie Bewertungsverfahren beschaffen sein müssen, die sowohl zeitlich wie räumlich dynamische Prozesse, z.B. Überflutungshäufigkeit und -dauer, bewerten, ist weitgehend unklar.

2.3. Veränderungen des Wasserhaushaltes

Die meisten Probleme in den Elbe-Auen resultieren aus den bereitseingetretenen oder zu befürchtenden Beeinträchtigungen in den Wechselbeziehungen Strom-Auen.

An erster Stelle ist hier die Flußbettstabilität zu nennen, die sich auf langen Strecken der Elbe, aber insbesondere im Verlauf der mittleren Elbe als Tiefenerosion mit bis heute gravierenden Ausmaßen, bemerkbar macht. Sie wird durch die folgenden, miteinander verknüpften Faktoren verursacht:

  • Geschiebedefizite durch die Querbauwerke im Oberlauf der Elbe und ihren Nebenflüssen,
  • Laufverkürzungen,
  • Breiteneinschränkungen durch Buhnen und Deckwerke bzw. Einschränkung der Seitenerosion.
Dies hat Auswirkungen und Darstellung der ursächlichen Zusammenhänge ist im wesentlichen Aufgabe der ökomorphologischen Forschung (vgl. Teilkonzept "Ökologie der Fließgewässer", Abschnitt "Ökomorphologie"). Inwieweit sich die Wechselbeziehungen zwischen Wasserspiegellagen und Grundwasserständen auf die Böden und die Entwicklung von Vegetation und Fauna auswirken, ist für die Elbe weitgehend unbekannt.

2.4 Ökologischer Hochwasserschutz

Ein weiterer Problembereich ist die starke Verringerung der natürlichen Überflutungsflächen zur Gewinnung nutzbarer Flächen, insbesondere für Siedlung und Landwirtschaft. Aus ökologischer Sicht, insbesondere angesichts der bereits bestehenden Einschränkungen der Dynamik, ist die großräumige Wiederherstellung der ursprünglichen Überschwemmungsbereiche notwendig. Dies würde zur nachhaltigen Sicherung auentypischer Biotope und ihres Wasserhaushaltes einen entscheidenden Beitrag leisten. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sind, oft im Rahmen von fälligen Deichsanierungen, konkrete Planungen zu Deichrückverlegungen angelaufen. Da es bisher in Deutschland keine Erfahrungen mit großflächigen Deichrückverlegungen gibt, bestehen Wissensdefizite hinsichtlich der folgenden Aspekte:

  • Auswirkungen der neu einsetzenden Abflußdynamik auf die binnen- und außendeichs gelegenen Biotope, insbesondere der verschiedenen Auenwaldtypen, Auengewässer und Qualmwasserzonen
  • Methoden der Auenwaldentwicklung
  • Remobilisierungsverhalten schadstoffkontaminierter Böden (die Schwermetallbelastung erreicht z.B. regional eine Größenordnung von bis zu 10 t/ha).
2.5 Kiesabbau

Kiesabbau ist ein direkter Eingriff in die Morphologie und die Grundwasserdynamik der Auen. Dieser kann weit über den Eingriffsort hinaus erhebliche Konsequenzen auf die Standortbedingungen in den Auen haben. Kiesgruben stellen künstliche Elemente in der Landschaft dar. Sie können zwar aus naturschutzfachlicher Sicht einige Funktionen von natürlichen Gewässern übernehmen, sind jedoch kein Ersatz für die durch die natürliche Dynamik geschaffenen Altgewässer. In den elbeanrainenden Bundesländern liegen Planungen für den Kiesabbau in der Größenordnung von bis zu mehreren Tausend ha pro Landkreis vor. Wissensdefizite bestehen bezüglich der folgenden Aspekte:

  • Kriterien für die Zulassung oder Ablehnung von Kiesabbau-Projekten,
  • Kriterien für die Auswahl von Standorten und das Ausmaß der Kiesgewinnung sowie
  • Konzepte für die Folgenutzung von Kiesgruben.
2.6 Landwirtschaftliche Nutzung

Auen sind durch agrarstrukturelle Maßnahmen erheblich beeinträchtigt worden. Diese Eingriffe hatten in der Regel das Öffnen natürlicherweise eng geschlossenere Stoffkreisläufe zur Folge und haben vielerorts die Filter- und Akkumulationsfunktion der Auen geschädigt.

Folgen waren im wesentlichen:

  • Nivellierung des Auenreliefs,
  • Reduzierung von Landschaftsstrukturen und -elementen,
  • Förderung vor allem überflutungsbedingter Flächenerosion (insbesondere bei Ackerbau und intensiver Grünlandbewirtschaftung),
  • Eutrophierung von Auengewässern (z.B. als Folge flächenunabhängiger Tierproduktion) sowie
  • Grundwasserabsenkungen durch Melerationsmaßnahmen.
Das Hauptaugenmerk für die Kennzeichnung, Diagnose und Bewertung der Auswirkungen landwirtschaftlicher Produktion in den Auen auf die Gewässer war bisher auf die eutrophierungsrelevanten Nährstoffe Stickstoff und Phosphor sowie auf die toxikologisch problematischen Pflanzenschutzmittel fokussiert. Dieser Ansatz reicht in der ausgeräumten Auenlandschaft nicht aus. Aus heutiger Sicht müssen diese Bewertungsansätze um die biotischen und abiotischen Strukturelemente der Auen, d.h. Grob- und Mikro-Relief, Wälder, Hecken- und Feldgehölze etc., erweitert werden.

Wissenzdefizite bestehen hinsichtlich

  • Der Wiederherstellung der auentypischen Reliefvielfalt,
  • Des Umgangs mit schadstoffkontaminierten Standorten und
  • Des Umgangs mit wiedergewonnenen Retentionsflächen durch Deichrückverlegung.
2.7 Sonstige Probleme

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung ist die Intensivierung vieler Nutzungen verbunden. Hierzu gehören vor allem: Die Ausweisung von Bebauungsgebieten in den Auen für Siedlung, Gewerbe und Tourismus sowie ihre verkehrstechnische Erschließung. Probleme ergeben sich hieraus insbesondere in der wirtschaftlich strukturarmen, ehemaligen Grenzflußregion. Es werden Konzepte benötigt, die eine ökonomische Entwicklung zulassen, ohne daß der ökologische Wert dieser vergleichsweise unberührten Landschaften beeinträchtigt wird.

2.8 Schnittstellen zu anderen Themen

Forschungsarbeiten zum Thema "Ökologie der Auen" stehen in wechselseitiger Abhängigkeit zu den Teilkonzepten "Ökologie der Fließgewässer" sowie "Landnutzung im Einzugsgebiet".

Für die Erarbeitung von ökologischen Leitbildern, konkret mit der Festlegung von Parametern und Indikatorarten, ist die thematische und räumliche Überschneidung mit anderen Fachgebieten herzustellen. Der sich hieraus ergebende Informationsfluß sowie dessen datentechnische Verarbeitung ist zu gewährleisten.

Schnittstellen zu den thematischen Schwerpunkten des Teilkonzeptes "Ökologie der Fließgewässer", Abschnitt "Ökomorphologie" ergeben sich bei folgenden Themen:

  • Erstellung eines digitalen Geländemodells,
  • Beurteilung der Auswirkungen der fortschreitenden Tiefenerosion sowie verschiedener Maßnahmen zu ihrer Behebung,
  • Beurteilung der Folgewirkungen der vorgesehenen Vergleichmäßigung der Niedrig- und Mittelwasserführung auf die Dynamik des Grundwassers im stromnahen Bereich,
  • Abschätzung der Auswirkungen des Buhnen- und Leitbauwerkes bzw. der -sanierung auf die Abflußdynamik bei Mittel- und Hochwasser.
Die wesentlichen Schnittstellen zu den thematischen Schwerpunkten des Teilkonzeptes "Ökologie Ökologie der Fließgewässer", Abschnitt "Fischfauna" sind:
  • Die Fischwanderung in die Auengewässer und
  • Die Bewertung von Altgewässern.
Eine wesentliche Schnittstelle zu den thematischen Schwerpunkten des Teilkonzeptes "Landnutzung im Einzugsgebiet" ist die Reduzierung der Stoffausträge durch Landnutzungsänderungen.