2.1 Landschaftswasser- und -stoffhaushalt
Die ökologischen Belastungsgrenzen, ausgedrückt als kritische Konzentrationen (Critical Levels) und kritische Eintragsraten (Critical Loads) von naturnahen Ökosystemen, sind z.T. erheblich überschritten und führen zunehmend zu Umweltproblemen (z.B. Eutrophierung, insbesondere der aquatischen Ökosysteme; Beeinträchtigung der Trinkwasserqualität).
Der Kenntnisstand hinsichtlich des Anteils der Gesamtbelastung der Wasserqualität der Elbe und ihrer Nebenflüsse mit eutrophierungsrelevanten Stoffen aus dem Verursacherbereich Landwirtschaft sowie zu den Wegen und Prozessen des Stoffeintrags in die Gewässer ist sehr hoch. Der Anteil der Landwirtschaft an den diffusen Einträgen beläuft sich z.B. bei Stickstoff auf über 80%, hauptsächlich über die Grundwasserpassage und bei Phosphor auf über 85%, hauptsächlich über die Flächenerosion. Bezüglich der Eintragspfade der diffusen Stickstoffeinträge ist zwischen dem Lockergesteinsbereich (ca. 75% des Elbe-Einzugsgebietes im Bereich der neuen Bundesländer) und dem Festgesteinsbereich zu unterscheiden.
Wissensdefizite bestehen hinsichtlich der konkreten regionalen Zuordnung und der entsprechenden Quantifizierung der diffusen Stickstoffbelastung der Fließgewässer; dies wird insbesondere an den Diskrepanzen zwischen Emissions- (potentieller Austrag aus der Fläche) und Immissionsbetrachtung (gemessene Frachten im Fließgewässer) deutlich.
Mögliche Ursachen hierfür sind:
- Regional sehr unterschiedliches Weg-Zeit-Verhalten über den Grundwasserpfad, insbesondere im Lockergesteinsbereich; hierdurch unterliegt der aus der Fläche ausgetragene Stickstoff sehr unterschiedlichen Umsetzungsverhältnissen.
- Stoffrückhalt durch Akkumulation in Stoffsenken im Einzugsgebiet, z.B. in Feuchtgebieten, insbesondere intakten Niedermoorstandorten und Flußniederungen.
- Stoffrückhalt und Stoffumsetzung in den Fließgewässern und durchflossenen Seen, insbesondere unter Flachlandbedingungen mit geringen Abflußspenden (z.B. Spree- / Havel-Einzugsgebiet).
Wissensdefizite bestehen weiterhin über die konkreten Auswirkungen von großflächigen, meist marktpolitisch bedingten Landnutzungsänderungen, beispielsweise infolge der europäischen Agrarreform (Extensivierungen, Flächenstillegungen, Aufforstungen) oder infolge diverser Verordnungen und Richtlinien, auf den Landschaftswasser- und -stoffhaushalt in unterschiedlichen Naturräumen. Forschungsbedarf besteht in diesem Zusammenhang hinsichtlich einer umfassenden ökologischen und sozio-ökonomischen Bewertung bereits durchgeführter Landnutzungsänderungen.
Eine wesentliche Zielstellung elbeanrainender Länder ist es, die Landwirtschaft insbesondere in wirtschaftlich schwächeren Regionen als strukturbestimmendes Wirtschaftselement zu erhalten bei gleichzeitiger Reduzierung der diffusen Stoffbelastung der Elbe und ihrer Zuflüsse. Vor diesem Hintergrund werden Modellprojekte zur Erprobung bereits erarbeiteter Landnutzungskonzepte benötigt, um mit wissenschaftlichen Begleituntersuchungen die ökologischen und sozio-ökonomischen Folgewirkungen zu analysieren und zu bewerten.
In der aktuellen Diskussion wird auf den stark angestiegenen Austrag der Gesamt-Mineralstofffraktion, insbesondere der Basen-Kationen, im Zusammenhang mit den massiven Eingriffen -insbesondere Entwässerungsmaßnahmen- in den natürlichen Landschaftswasserhaushalt der letzten Jahrzehnte hingewiesen. Überall dort, wo diese Verluste nicht ausgeglichen werden können, ist das Prinzip der Nachhaltigkeit nicht gewährleistet. Wissensdefizite bestehen im wesentlichen über das Ausmaß und die regionale Bedeutung dieses Phänomens.
Die Flutung der Tagebaurestlöcher in den Braunkohlerevieren der Flußgebiete von Schwarzer Elster, Mulde, Saale und Spree/Havel wird die Wasserführung und die Wasserbeschaffenheit der Elbe vor allem in Niedrigwasserzeiten durch fehlendes Sümpfungswasser und zurückgehaltenes Flutungs- und Grundwasser noch über mehrere Jahrzehnte merkbar beeinflussen. Forschungsdefizite bestehen hinsichtlich der Auswirkungen auf den überregionalen Wasser- und Stoffhaushalt und damit auch auf die Niedrigwasserführung der Elbe.
Der spezifische Gebietsabfluß und die Abflußcharakteristik wird wesentlich über den Land-schaftswasserhaushalt und damit von der Art und Intensität der Flächennutzungen im Einzugsgebiet beeinflußt. Somit kann der Hochwasserproblematik durch die Schaffung bzw. den Erhalt von natürlichen Retentionsstrukturen im Einzugsgebiet entgegengewirkt werden. Wissensdefizite bestehen hinsichtlich der Wirksamkeit von vorhandenen oder zu regenerierenden Retentionsstrukturen.
2.2 Indikation und Bewertung struktureller Eingriffe in die Landschaft
Weite Teile des Einzugsgebiets der Elbe sind noch geprägt durch agrarstrukturelle Maßnahmen der DDR, die den Naturhaushalt z.T. erheblich beeinträchtigt haben. Ursachen hierfür waren z.B. die mit der Schaffung enormer Schlaggrößen einhergehende Reduzierung von Landschaftsstrukturen, die Förderung der Flächenerosion durch nicht standortgerechte Bewirtschaftungsformen, einseitige Fruchtfolgen, flächenunabhängige Tierproduktion sowie schwerwiegende Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt, die vor allem für natürliche Stoffsenken, z.B. Niedermoorstandorte, besonders gravierende Folgen hatten (Komplexmelioration).
Das Hauptaugenmerk für die Indikation und Bewertung von Auswirkungen durch die Landnutzung im Einzugsgebiet war bisher vor allem auf landwirtschaftlich bedingte Stickstoff- und Phosphor- sowie Pflanzenschutzmittel-Einträge in die Gewässer gerichtet. Diese Ansätze müssen um Indikatorensysteme, die Aussagen zu kritischen strukturellen Veränderungen von Ökosystemen (Critical Structural Changes) liefern, erweitert werden. Dies betrifft z.B. Veränderungen im Zusammenhang mit Flächenzerschneidung, Entwässerung, Flächenumwidmung, Flurbereinigung, land- und forstwirtschaftlicher Flächenbewirtschaftung, touristischer Nutzung sowie Bodenversiegelung durch Verkehr, Siedlung und Industrie. Wissensdefizite bestehen hinsichtlich der möglichen Indikatoren, der Bewertungsverfahren, der Leitbilder und der Definition von Qualitätszielen.
2.3 Umsetzungshindernisse
Die Einkommenssituation der Landwirtschaft wird durch stark rückläufige Erzeugerpreise geprägt, die durch die derzeitigen nationalen und europaweiten Rahmenbedingungen hervorgerufen werden. Sie stellen ein wesentliches Umsetzungshemmnis für Gewässerschutzmaßnahmen dar, sofern diese mit wirtschaftlichen Interessen der Landwirte kollidieren. Einkommenseinbußen infolge einer Reduzierung der Nutzungsintensität können kaum über höhere Erzeugerpreise an den Verbraucher weitergegeben werden, abgesehen von der (ausdehnungslimitierten) Erzeugung von Spezialprodukten (z.B. im ökologischen Landbau). Die bisher vorrangig auf die Reduzierung von Agrarüberschüssen ausgerichteten Kriterien landwirtschaftlicher Förderprogramme müssen zukünftig durch umwelt- bzw. gewässerschutzorientierte ersetzt werden.
Wegen der enormen Bedeutung des Grundwassers als Stickstoff-Eintragspfad in die Elbe (ca. 2/3 des diffusen N-Eintrags erfolgt über das Grundwasser) und damit auch in die Nordsee, ist ein flächendeckender Schutz des Grundwassers vor Stoffeinträgen anzustreben. Hierzu ist ein höheres Maß an vorsorgendem Gewässerschutz im gesamten Einzugsgebiet notwendig. Dieses höhere Maß an Vorsorge wird gegenwärtig in besonders sensiblen Gebieten, z.B. (Trink-) Wasserschutzgebieten durch eine enge Kooperation zwischen Landwirtschaft und Wasserversorgung realisiert, wobei einzelbetriebliche wirtschaftliche Einbußen aufgrund von wettbewerbsnachteiligen Nutzungseinschränkungen finanziell ausgeglichen werden. Ob diese räumlich begrenzten Lösungsansätze Modellcharakter für große Teile des Einzugsgebiets haben und wie dort wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen werden können, gehört zu den wichtigen Fragestellungen dieses Teilkonzepts. Zu diesen Problemen liegen nur wenige Erfahrungen vor, weil es an Umsetzungsbeispielen im mesoskaligen Bereich mit begleitenden ökologischen und sozio-ökonomischen Untersuchungen fehlt.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Erfolg von Maßnahmen erst nach Ablauf längerer Zeiträume bewertet werden kann. Daher ist in Kooperation mit den zuständigen Behörden mit einer exemplarischen Umsetzung bestehender Gewässerschutzkonzepte (z.B. Konzept zur "Effizienten und umweltverträglichen Landnutzung" (EULANU); Kriterien der "Kritischen Umweltbelastungen Landwirtschaft" (KUL); Ergebnisse aus dem BMBF-Verbundforschungsvorhaben zur Erarbeitung modellhafter Sanierungskonzepte für kleine Fließgewässer) und deren wissenschaftlicher Begleitung so früh wie möglich zu beginnen.
Da die Erprobung von Konzepten für umweltverträgliches und zukunftsorientiertes Wirtschaften im ländlichen Raum von der Flächenverfügbarkeit abhängt, sind beispielsweise Biosphärenreservate als Modellregionen besonders geeignet.