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Einleitung und Ziele
12.04.2000  
1 1. EINLEITUNG UND ZIELE

1.1 Auen und ihre Gefährdung

Strom und Aue sind durch intensive abiotische und biotische Wechselbeziehungen miteinander verbunden. Auen werden geprägt durch die

  • Dynamik des Abflußregimes und des Grundwassers im Überflutungsbereich und die
  • Morphodynamik des Stroms (d.h. die Entwicklung seiner Linienführung und seines Querprofiles)
Die geologische Situation, in die Stromtäler entstehungsgeschichtlich und aktuell eingebettet sind, führt zu Unterschieden in der Ausprägung von Fluß- und Auenlandschaften. Sie sind in ihrer jeweiligen Eigenart unverwechselbar, so daß man z.B. von "Rhein-, "Donau- oder "Elbe-Auen" sprechen kann. Aufgrund der "landschaftsgestaltenden Kraft" natürlicher Flüsse ist allen Auen die außerordentliche Vielgestaltigkeit der Standortfaktoren und der Artenreichtum an Pflanzen und Tieren gemeinsam. Es wird geschätzt, daß in naturnahen Auen der Unterlaufregionen von Flüssen ca. 12.000 Tier- und Pflanzenarten leben. Hinzu kommen eine große Zahl von Arten, die Auen als Durchzugsgebiet und Winterrastplatz benutzen. Damit gehören Auen zu den artenreichsten Ökosystemen Europas.

Diese für Auen besonders charakteristische Situation ist das Ergebnis von Prozessen, die sich mit dem Begriff des "dynamischen Gleichgewichts" beschreiben lassen. Kontinuität und Stabilität der Lebensbedingungen in Auen sind das Ergebnis einer Vielzahl gleichzeitig stattfindender Sukzessionen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer Entwicklung durch ein natürliches Störungsmuster unterbrochen werden ("zyklische Sukzession"). Dieses Störungsmuster wird durch die Abfluß- und Morphodynamik des Stroms hervorgerufen.

Der Reiz und die Schwierigkeit, das Funktionieren von Auen zu verstehen, liegt in der Verknüpfung vielschichtiger Wechselbeziehungen. Auen sind in vier Dimensionen zu betrachten:

  • in Längsrichtung (Ausbreitungswege, "Flußkorridore" für Pflanzen und Tiere),
  • in Querrichtung (aquatischer, amphibischer, terrestrischer Bereich mit Hauptgerinne, Seitenarmen, Altgewässern, Hochgestade u.v.m. sowie ihre Vernetzung)
  • in der vertikalen Verbindung zum Grundwasserstrom der Talaue und
  • in der zeitlichen Dimension, insbesondere im langfristigen Rhythmus des Abflußgeschehens.
Für den Wasser- und Stoffhaushalt der Auen und damit auch für die menschlichen Nutzungsmöglichkeiten sind die folgenden Funktionen ausschlaggebend:
  • der Hochwasserabfluß wird verzögert (Hochwasserrückhaltung, Hochwasserschutz),
  • die mit der fließenden Welle transportierten Stoffe können sedimentieren und werden zurückgehalten (Senkenfunktion, Bodenbildung, Nährstoffanreicherung, Schadstoffakkumulation),
  • das Wasser, das zur Grundwasserneubildung beiträgt, wird gefiltert (Filter- und Reinigungsfunktion, Trinkwassergewinnung).
Naturnahe Flüsse und Auen sind zu einer Seltenheit geworden; bis heute wird in die Dynamik von Flüssen und Auen eingegriffen. Dabei geht es meist darum, wirtschaftliche Nutzungen zu ermöglichen, die auf eine Vergleichmäßigung oder den Ausschluß der natürlichen Dynamik angewiesen sind. Hierzu gehören beispielsweise die Leichtigkeit der Schiffahrt, die Wasserkraftnutzung und die landwirtschaftliche, insbesondere ackerbauliche Flächennutzung. Hinzu kommt die Inanspruchnahme von Flächen für Wassergewinnung, Kiesabbau, Siedlung, Verkehr sowie Tourismus und Freizeit.

Diese Nutzungen haben die zeitliche und räumliche Dynamik verändert und damit die naturnahen funktionalen Beziehungen erheblich beeinträchtigt.

Folgende Auswirkungen sind zu verzeichnen:

  • Verarmung an naturnahen Strukturen und Lebensräumen, die mit großen Verlusten von landschaftstypischen Pflanzen- und Tierarten verbunden sind,
  • Einschränkung der Ausbreitungswege von Organismen (Verinselung) mit der Folge genetischer Verarmung von Tier- und Pflanzenpopulationen,
  • Grundwasserabsenkungen und damit Austrocknung der Böden als Folge von Melioration, Flußbegradigung, -vertiefung und Sohlenerosion,
  • Einbußen in der biologischen Selbstreinigungskraft der Flüsse sowie
  • Verschärfung der Hochwassergefahren durch Einengung der natürlichen Retentionsräume.
1.2 Die Situation der Elbe-Auen

Der ökologische Zustand der Elbe entspricht nicht natürlichen Verhältnissen. Ihr Längsverlauf ist, wie bei fast allen anderen großen europäischen Strömen auch, festgelegt und streckenweise verkürzt worden. Deshalb kann sich die "Landschaftsgestaltende Kraft" des Flusses nicht mehr auf die Auen auswirken: Beispielsweise kann der Fluß seine Linienführung nicht verändern, Mäander können nicht gebildet und abgeschnürt, neue Stillgewässer nicht geschaffen und das Auenrelief nicht erneuert werden. Die Unterbindung der natürlichen morphologischen Dynamik bedeutet, daß ein entscheidender Faktor im "dynamischen Gleichgewicht" der Auen fehlt.

Laufverkürzungen und Verengungen des Flußbetts durch Flußregelungsbauwerke haben zu einer höheren Fließgeschwindigkeit geführt. Da im Oberlauf der Elbe und in ihren Nebenflüssen der Geschiebetransport durch zahlreiche Staustufen unterbrochen ist und die Geschiebezufuhr durch Erosion der Ufer im gesamten Elbeverlauf ausgeschlossen wurde, führt die erhöhte Fließgeschwindigkeit zu einer verstärkten Erosion der Sohle. Abschnittsweise hat sich die Elbe in 50 Jahren um ca. 2m eingetieft. Hierdurch senken sich die Wasserspiegellagen im Strom, die wiederum eine Absenkung der Grundwasserhorizonte in den Auen dort nach sich ziehen, wo die Grundwasser- von den Wasserspiegelverhältnissen der Elbe direkt abhängig sind. Diese Effekte können im gesamten Elbeverlauf auftreten, sind jedoch z.Zt. noch regional begrenzt. Besonders betroffen sind die Fließstrecken bei km 154 (Nähe Torgau), zwischen km 183 und km 245 (zwischen Torgau und Roßlau), km 325 bis km 355 (von Magdeburg bis unterhalb Niegripp) und km 525 (unterhalb der Eldemündung).

Zusätzlich wurde der ursprüngliche Überschwemmungsbereich der Elbe durch Deiche eingeengt. Große Flächenanteile der "morphologischen Aue" wurden aus dem Überflutungsregime herausgenommen und für Landwirtschaft und Siedlung nutzbar gemacht. Beispielsweise gingen allein an der mittleren Elbe zwischen Saale- und Sudemündung (266 Flußkilometer) seit 1850 ca. 600 km² Fläche der natürlichen Hochwasserretention verloren. Die ursprüngliche Breite der Überflutungsflächen wurde von durchschnittlich ca. 10 km auf ca. 1 km reduziert. Desweiteren wurden die Mündungen einiger Nebengewässer (z.B. Löcknitz und Sude)

Stromabwärts verlagert und eingedeicht. Diese wasserbaulichen Maßnahmen verhindern, daß die Elbe mit ansteigendem Hochwasser in ihre Rückstauräume fließen kann und die Nebengewässer über die Ufer treten können. Überflutungshäufigkeit und -dauer, für die Lebensgemeinschaften der Auen entscheidende Faktoren, wurden im Vergleich zu naturnahen Verhältnissen tiefgreifend verändert.

Allerdings ist die Elbe ab Usti n.L. (Tschechische Republik) bis zum Wehr Geesthacht, d.h. im gesamten Mittellauf, von Ausbaumaßnahmen geringer beeinträchtigt als andere deutsche Ströme. Verkürzungen des Längsverlaufes sind nur an wenigen Abschnitten durchgeführt worden. Die Durchgängigkeit des Flusses ist im genannten Abschnitt vollständig erhalten geblieben. Viele Flußregelungsbauwerke, wie z.B. Buhnen- und Parallelwerke, sind aufgrund nicht durchgeführter Instandsetzung verfallen. So konnten sich -sekundär- auf langen Strecken stromtypische Uferstrukturen, wie z.B. Sandbänke entwickeln. Die natürlichen Abflußschwankungen zwischen Niedrig- und Hochwasser können sich -im Rahmen der oben genannten Einschränkungen- weitgehend ungehindert auf den Wasserhaushalt der rezenten Aue sowie streckenweise auf die Gestaltung der Ufer und des Auenreliefs auswirken. Typisch sind breite Strände, reliefreiche Vorländer, ausgedehnte Qualmwasserbiotope und großflächige Dünenfelder.

In den Auen der Elbe ist das mosaikartige Nebeneinander unterschiedlicher Standortfaktoren, z.B. feuchte Senken und trockene Dünen, und damit eine große Vielfalt von Biotoptypen erhalten geblieben, die sich in einer entsprechend artenreichen Tier- und Pflanzenwelt widerspiegelt. An der Mittleren Elbe, zwischen Wittenberg und Magdeburg, existieren die größten zusammenhängenden Auenwälder Mitteleuropas, die beispielhaft die vergleichsweise reichhaltige Ausstattung der Elbe-Auen mit naturnahen Biotopen belegen. Diese Biotope liegen in einer weitgehend für die Landwirtschaft erschlossenen, offenen Landschaft. Das Bild der Talaue wird im wesentlichen von intensiv bewirtschafteten Wiesen, Weiden sowie ackerbaulich genutzten Flächen geprägt. Diese wenig gegliederte, durch die Abflußdynamik der Elbe beeinflußte Kulturlandschaft ist ein national und international bedeutsames Brut-, Rast- und Durchzugsgebiet für zahlreiche Vogelarten, wie z.B. Zwergschwan und Kranich. Die Elbe hat überragende Bedeutung für den Naturschutz in der Bundesrepublik und in Europa.

Es ist anzunehmen, daß die Auen der Elbe wegen der bereits unterbundenen natürlichen Morphodynamik und der Vielzahl von Eingriffen in den Wasserhaushalt störanfällig und empfindlich sind.

Das Fortbestehen der jetzigen wertvollen Natur- und Kulturlandschaft wird im wesentlichen gefährdet durch:

  • Eingriffe in die Abflußdynamik der Elbe, insbesondere durch Absenkungen der Wasserspiegellagen und damit der Grundwasserhorizonte sowie Änderung der Überflutungsdynamik,
  • Unterbindung der noch bestehenden Morphodynamik, insbesondere im Land-/ Wasser- Übergangsbereich,
  • Eingriffe in den Grundwasserhaushalt, insbesondere durch großflächigen Kiesabbau,
  • Nivellierung des Auenreliefs, insbesondere durch Steigerung der Flächenerosion und durch intensive landwirtschaftliche Nutzung,
  • Inanspruchnahme weiterer Flächen durch Siedlung, Gewerbe und Tourismus sowie der
  • Verlust der Durchgängigkeit, insbesondere durch talquerende Verkehrstrassen.
1.3 Ziele

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Situation ist es Ziel der Forschung, die Lebensbedingungen der elbetypischen Auenvegetation und -fauna infolge der spezifischen Dynamik zwischen Abflußregime und Oberflächen- sowie Grundwasserhaushalt aufzuklären. Erst auf dieser Basis wird es möglich sein, die bestehenden Instrumente zur Eingriffsbewertung (z.B. Umweltverträglichkeitsuntersuchungen) zu verbessern. Ein wichtiger Ansatz hierfür ist die Erarbeitung von objektiven Bewertungsmaßstäben und naturraumspezifischen ökologischen Leitbildern. Letztere sind die Grundlage für die Aufstellung realisierbarer Entwicklungsziele. Im Ergebnis sollen die wissenschaftlichen Erkenntnisse den Abwägungsprozess erleichtern, der bei Fragen des Schutzes und bei Eingriffen in die Natur und Landschaft laut Bundesnaturschutzgesetz erforderlich ist. Die vollziehenden Behörden des Naturschutzes, der Wasserwirtschaft, der Landwirtschaft, der Raumordnung u.a. sollen unterstützt werden bei der:

  • Beurteilung der Ausbau- und Unterhaltungsplanung
  • Planung von Renaturierungsmaßnahmen,
  • Ermittlung der Schutzwürdigkeit von Auen-Biotopen und
  • Dokumentation von Ist-Zuständen bzw. deren Veränderungen.