Aufgrund der erforderlichen ganzheitlichen Betrachtungsweise ergeben sich vier eng miteinander vernetzte, übergeordnete Forschungsziele (vgl. Abschnitt 3.1 bis 3.4):
- Entwicklung ökologischer Leitbilder als Zielvorgaben für eine dauerhaft-umweltgerechte (= nachhaltige) Entwicklung (Sustainable Development)
- Ermittlung der Tragekapazität von Kultur-/ Naturlandschaften
- Bereitstellung von Modellen zur Prognose von Eingriffsfolgen
- Erarbeitung von Maßnahmenvorschlägen zur Verbesserung bzw. Stabilisierung der ökologischen und sozio-ökonomischen Bedingungen
Mit der leitbildorientierten Vorgehensweise, die auf den Erfahrungen insbesondere aus den abgeschlossenen sechs BMBF-Modellvorhaben zur Sanierung kleiner Fließgewässer aufbaut, soll erreicht werden, daß die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in politische und behördliche Entscheidungen eingehen. Diese Vorgehensweise erleichtert die Strukturierung, Verknüpfung und Effizienzkontrolle interdisziplinärer Forschungsprojekte.
Im Rahmen der vorliegenden Forschungskonzeption sind ökologische Leitbilder in den folgenden Verfahrensablauf eingebunden:
1.
Festlegung ökologischer Referenzzustände.
2.
Bewertung ökologischer Ist-Zustände.
3.
Definition ökologischer Leitbilder.
4.
Umsetzung ökologisch und sozio-ökonomisch abgestimmter
Entwicklungsziele.
5.
Erfolgskontrolle umgesetzter
Maßnahmen.
Aufgabe der Wissenschaft ist es in diesem Zusammenhang,
1.
ökologische Referenzzustände zur
Durchführung von Bewertungsverfahren durch Parameter und Indikatoren
naturraumspezifisch festzulegen. Die Basis hierfür bildet der naturnahe
Zustand, der z.B. über verbliebene naturnahe Referenzgebiete zu
dokumentieren oder über historische Analysen zu (re-)konstruieren
ist.
2.
ökologische Ist-Zustände naturraumspezifisch
zu analysieren, zu dokumentieren und anhand des entsprechenden Referenzzustandes
zu bewerten. Die Auswahl und der Umfang der zu untersuchenden physikalischen,
chemischen und biologischen Parameter sowie räumliche Abgrenzungen
und inhaltliche Schwerpunktbildungen müssen den unterschiedlichen
naturräumlichen und nutzungsbedingten Rahmenbedingungen gerecht werden.
Die Bewertung des Ist-Zustandes ermöglicht die Darstellung ökologischer
Defizite. Diese stellen die Grundlage für die Ableitung des Handlungsbedarfs
dar.
3.
ökologische Leitbilder naturraumspezifisch
zu definieren. Diese Leitbilder stellen die unter den heutigen Gegebenheiten
- d.h. unter Berücksichtigung irreparabler Entwicklungen in der Vergangenheit
- noch maximal erreichbare Annäherung an den naturnahen Zustand
dar. Zu ihrer Anwendung müssen - analog zu den Referenzzuständen
- abiotische Parameter und biotische Indikatoren formuliert werden, die
als Zielgrößen für die langfristige Ausrichtung zukünftiger
Planungen und Maßnahmen geeignet sind.
Aufgabe der Behörden ist es in diesem Zusammenhang,
4. auf der Basis der ökologischen Leitbilder in einem gesellschaftspolitischen Abstimmungsprozeß Entwicklungsziele naturraumspezifisch festzulegen und entsprechenden Handlungsbedarf umzusetzen. Entwicklungsziele stellen somit die derzeitig gesellschaftlich kurzfristig umsetzbare Annäherung an das ökologische Leitbild (= langfristiges Planungsziel) dar. Sie berücksichtigen ökologische und sozio-ökonomische Rahmenbedingungen gleicher-maßen und unterliegen den jeweiligen gesellschaftlichen Veränderungen sowie dem wissen-schaftlichen Erkenntnisstand.
Aufgabe von Wissenschaft und Behörden ist es,
5. die umgesetzten Maßnahmen hinsichtlich ihres ökologischen Erfolges (über die oben erwähnten Parameter und Indikatoren) sowie ihrer sozio-ökonomischen Effizienz zu analysieren und zu bewerten (Erfolgskontrolle); darauf aufbauend sind die Maßnahmenkonzepte weiter zu entwickeln.
3.2
Ermittlung der Tragekapazität von Kultur-/ Naturlandschaften
Naturnahe
Ökosysteme haben die Eigenschaft, auf Störungen bis zu einer
bestimmten Grenze elastisch zu reagieren und in den ursprünglichen
dynamischen Gleichgewichtszustand zurückzukehren. Diese Grenze gibt
an, wie intensiv eine Störung sein darf, bevor es zu irreparablen
Veränderungen im Naturhaushalt kommt. Der Bereich bis zu dieser Grenze
wird als Tragekapazität von Ökosystemen bezeichnet und ist von
deren Struktur und Dynamik abhängig.
Zum
Begriff Tragekapazität heißt es im Umweltgutachten 1994: "Gefordert
ist nach Auffassung des Umweltrates die Einbindung der Zivilisationssysteme
in das sie tragende Netzwerk der Natur, und damit die dauerhafte Ausrichtung
der sich fortschreitend entwickelnden Ökonomien an der Tragekapazität
der ökologischen Systeme." [...] "Grundsätzlich gibt die Tragekapazität
der natürlichen Umwelt die Grenze vor, die eine dauerhaft-umweltgerechte
Entwicklung der Zivilisation nicht überschreiten darf".
Wissensdefizite
bestehen hinsichtlich der Frage, welche Nutzungen mit der Tragekapazität
des Elbe-Stroms und seiner Landschaft vereinbar sind. Die Ziele Nutzbarkeit
und Naturnähe können nur dann erreicht werden, wenn es gelingt,
sozio-ökonomische und ökologische Anforderungen an Raum, Aue
und Fluß so auszubalancieren, daß die Tragekapazität der
Ökosysteme nicht überfordert wird. Dementsprechend beinhaltet
der Begriff Tragekapazität die Frage, ob die in den Entwicklungszielen
festgelegten Qualitätsanforderungen genügen, um die im ökologischen
Leitbild definierten Qualitätsziele langfristig zu gewährleisten.
Hinsichtlich
der vom BMBF zu fördernden wissenschaftlichen Fragestellungen bedeutet
das: Untersuchungen sollen, unter Verwendung der im ökologischen Leitbild
zu definierenden Qualitätsziele, aufzeigen, in welchen Grenzen Nutzungen
ökologisch vertretbar sind, um die noch vorhandenen natürlichen
Existenzbedingungen zu erhalten oder zu entwickeln. Mit dem Begriff Tragekapazität
soll eine sehr viel stärkere Verknüpfung naturwissenschaftlicher,
soziologischer, rechtlicher und ökonomischer Fragestellungen als bisher
herbeigeführt werden, um die ökologischen Zielvorgaben erfüllen
zu können.
3.3
Bereitstellung von Modellen zur Prognose von Eingriffsfolgen
Viele
kontroverse Diskussionen an der Elbe resultieren aus unterschiedlichen
Einschätzungen der Konsequenzen wirtschaftlicher Entwicklungen auf
ökologische Zusammenhänge, z.B. Wechselwirkungen zwischen Abfluß-
und Morphodynamik des Flusses, Wasser- und Stoffhaushalt der Auen und ihrer
Biozönosen.
Wesentliche
Voraussetzung zur Verbesserung der Prognosefähigkeit ökologischer
und ökonomischer Folgewirkungen geplanter Maßnahmen ist die
Erweiterung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die kausalen
und funktionalen Wirkungszusammenhänge in Ökosystemen. Zur Lösung
anstehender Nutzungskonflikte soll der Praxis mit Ergebnissen aus "Was
wäre wenn ...?-Szenarien" die notwendige Konsenzfindung im Entscheidungsprozeß
erleichtert werden. Dazu gehören auch kleinmaßstäbliche
Übersichtsmodelle und detaillierte Teilmodelle.
3.4
Erarbeitung von Maßnahmenvorschlägen
Eine
wesentliche Zielstellung der Forschungskonzeption ist es, konkrete Handlungskonzepte
für den Erhalt und die Verbesserung des ökologischen Zustandes
der Gewässer, ihrer Auen und ihres Einzugsgebietes zu erarbeiten.
Die Maßnahmenvorschläge sind nach ökologischen und sozio-ökonomischen
Kriterien zu optimieren und sollen regionalspezifischen Entwicklungszielen
(vgl. Abschnitt 3.1, Pkt. 5) entsprechen.