[ Elise > Forschungsverbund > FVPub > Konzeption > Foko (deutsch) > Fließ > Arten ] Stoffdyn Fließ
Arten und Lebensgemeinschaften
12.04.2000  
3 3. ARTEN UND LEBENSGEMEINSCHAFTEN

3.1 FISCHFAUNA

3.1.1 Einleitung und Ziele

Fische gehören zu den wenigen Tiergruppen, die Spezialisten und Laien gleichermaßen einen Zugang zum ökosystemaren Verständnis von Gewässern ermöglichen. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, daß Fischbestände als Nahrungsressource genutzt werden: Wird die Tragekapazität der Gewässer für die Fischbestände gesenkt, hat dies -meist unmittelbar- wirtschaftliche Folgen. Dies hat dazu geführt, daß der Wissensstand über die Lebensweise und Lebensbedürfnisse der Fische, insbesondere der Speisefische, breiter bekannt und detaillierter ist, als bei anderen, unscheinbareren Tiergruppen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und wirtschaftliche Nutzung haben sich gegenseitig ergänzt. Sie müssen auch in Zukunft zusammenarbeiten, damit der dauerhafte Schutz und die Wiederherstellung naturnaher Lebensräume gelingt.

Die wissenschaftliche Bedeutung fischökologischer Forschung beruht darauf, daß Fischarten, Artengemeinschaften und Populationen ideale Indikatoren sind. Mit ihrer Hilfe können sowohl spezielle als auch integrierende Aussagen über die Funktionsfähigkeit von Fließgewässersystemen, Fließgewässerabschnitten und den Zusammenhang von Fluß und Auen getroffen werden. Keine andere Tiergruppe repräsentiert die ökologischen Wechselbeziehungen von Fließgewässersystemen besser als die Fische.

Die besondere Bedeutung der Elbe für die fischökologische Forschung liegt darin, daß ein Großteil der ursprünglichen Artengemeinschaft trotz erheblicher Beeinträchtigung der Wasserqualität erhalten geblieben ist; dies wird auf die vielfältigen morphologischen Strukturen zurückgeführt. Deshalb muß sich das wissenschaftliche und nutzungsorientierte Interesse verstärkt auf die Aufklärung der Zusammenhänge zwischen den morphologisch/strukturellen Rahmenbedingungen des Ökosystems und ihren Funktionen für die Fischbestände konzentrieren.

Vor diesem Hintergrund haben die Fischökologie und Fischereibiologie in der Elbeforschung die folgenden gemeinsamen Ziele:

  • Größtmöglicher Erhalt eines naturraumtypischen Fließgewässerökosystems als Ganzes und im Detail,
  • Selbständige Reproduktion aller autochthonen Arten,
  • Erhalt des genetischen Potentials,
  • Förderung bedrohter und in die Elbe rückkehrender Arten,
  • Erarbeitung allgemeiner, übertragbarer und in der Praxis anwendbarer Methoden und Ergebnisse,
  • Verbesserung der Migration der Fische entlang der Elbe und ihrer Nebenflüsse.
Die Bearbeitung fischökologischer Fragestellungen ist besonders geeignet, den gesamtheitlichen Ansatz des Forschungsprojektes zu gewährleisten. Dazu müssen die folgenden Grundsätze beachtet werden:
  • Die räumliche Grundlage der Forschung ist das potentielle Verbreitungsgebiet der Fischbestände. Das Fließgewässersystem der Elbe (longitudinale Komponente), die Auen (laterale Komponente) und die Zusammenhänge zwischen fließender Welle und Gewässerbett (vertikale Komponente) sind gleichermaßen zu berücksichtigen.
  • Grundlage der Forschung ist die Definition der Schnittstellen zu anderen Forschungsbereichen, wie z.B. "Ökomorphologie", "Ökologie der Auen" und "Stoffdynamik".
Fischökologische Forschung steht außerdem unter einem akuten zeitlichen Druck: Die frühere Situation der Elbe war durch eine zunehmende Verschlechterung der Wassergüte bei gleichzeitiger Verbesserung der Strukturgüte aufgrund des Zerfalls der wasserbaulichen Einrichtungen geprägt. Diese beiden gegensätzlichen Entwicklungen verlaufen jetzt in umgekehrter Richtung. Heute stehen einer deutlichen Verbesserung der Wassergüte mögliche Strukturverarmungen gegenüber, die durch eine rasch voranschreitende Sanierung der Flußregelungsbauwerke zur Sicherung der Binnenwasserstraßenfunktion verursacht werden. Die rasche Vorhersage möglicher Wirkungen einzelner flußbaulicher Maßnahmen und deren Kombination auf Fischgesellschaften gehört deshalb zu den vordringlichen Zielen dieses Forschungszweiges.

3.1.2. Probleme und Wissensdefizite

Im Vergleich zu Ländern, in denen die Berufs- und Freizeitfischerei eine höhere Bedeutung als in Deutschland besitzen (z.B. USA, Kanda, Großbritannien, Frankreich und einige Länder Osteuropas), ist die fischökologische Forschung in Fließgewässern hierzulande als eher unterrepräsentiert einzustufen. Dies gilt insbesondere für große Flüsse, die -vorwiegend wegen der methodischen Probleme quantitativer Bestandserfassungen- zu den ichthyologisch am wenigsten untersuchten Lebensräumen zählen.

Die aus anderen Ländern vorliegenden Erkenntnisse üpber die Probleme der Erhaltung, des Wiederaufbaues sowie des Managements von Wanderfischpopulationen in durchgängigen und unterbrochenen Systemen sollen an der Elbe berücksichtigt werden. Allerdings unterscheidet sich die Elbe als sog. "Sandfluß" in vielerlei Hinsicht von anderen bisher in Mitteleuropa näher untersuchten Flüssen, wie z.B. Rhein und Donau. Dementsprechend gering sind die Kenntnisse über die Bedeutung der einzelnen Strukturen im Strom (z.B. Sand- und Kiesbänke, Buhnenfelder) als Lebensräume für die Fischfauna vor allem bei den strömungsliebenden Arten. Gerade diese Kenntnisse sind jedoch entscheidend für alle weiteren Maßnahmen, die zu einer Veränderung der Stromlandschaft führen.

Für den größten Teil des Elbe-Stroms liegen aktuelle qualitative Untersuchungen der Artenzusammensetzung vor (ARGE Elbe). Quantitative Erhebungen und damit auch Angaben zur Bestandsdynamik wurden bisher kaum durchgeführt.

Der Kenntnisstand über die qualitative und quantitative Zusammensetzung der Fischfauna in den Auengewässern und den Nebenflüssen der Elbe ist noch gering. Gezielte Untersuchungen der Nebenflüsse haben zwar begonnen (z.B. 1991 im Rahmen einer Fischkartierung in Mecklenburg-Vorpommern, 1992/93 in Sachsen-Anhalt), sind aber noch nicht abgeschlossen.

Insgesamt hat sich gezeigt, daß das Artenspektrum der Elbe im gesamten Flußverlauf, aber auch in einigen Nebenflüssen, derzeit einem starken Wandel zu unterliegen scheint. Auch ehemals verschollene Arten werden wieder nachgewiesen, wobei meist nicht geklärt ist, woher die Ausbreitung erfolgt.

Die meisten Fischarten der Fließgewässer benötigen im Verlauf ihrer Entwicklung mehrere unterschiedliche Habitate. Um einen Generationszyklus -vom Gelege zum adulten Tier- vollständig abschließen zu können, muß jedes Habitat erreichbar und in ausreichender Qualität und Quantität vorhanden sein. Die Wanderungen vieler Fischarten, z.B. stromauf- und abwärts oder in die Stillgewässer der Auen, sind ein sinnfälliger Beweis für den biozönotischen Zusammenhang von Einzugsgebiet, Auen und Strom. Die selbständige Reproduktion aller autochthonen Arten und der Erhalt ihres genetischen Potentials sind nur möglich, wenn dieser Zusammenhang auf Dauer gewährleistet ist. Die Bewertung des Ist-Zustandes, die Einschätzung von Gefährdungen und die Identifikation von Gefährdungsursachen setzt das Wissen über die Lebensraumansprüche der einzelnen Entwicklungsstadien voraus.

Diesbezüglich bestehen erhebliche Wissensdefizite über die Art, Ausdehnung, Lage und Anzahl von Laicharealen sowie deren Nutzungsfrequenz. Dies gilt sowohl für die kieslaichenden Arten als auch für solche Arten, die keine besonderen Ansprüche an die Laichsubstrate stellen, ufernahe Vegetationsstrukturen oder Überschwemmungsgebiete bevorzugen.

Untersuchungen zu Jungfischen sind an der Elbe bisher nicht und an anderen Strömen selten durchgeführt worden. Während Fischlarven zu Beginn ihrer Entwicklung weitgehend standorttreu sind, führen Jungfische im Verlauf ihrer Entwicklung einen Standort- und Habitatwechsel durch. Neben der Qualität der Laichhabitate stellen somit auch die Anzahl, Lage und Erreichbarkeit der Aufwuchshabitate entscheidende Qualitätskriterien des Fließgewässerökosystems dar.

Als weiteres Wissensdefizit ist die Rolle des unter der Stromsohle liegenden Lückensystems (hyporheisches Interstitial) hervorzuheben. Vorliegende Untersuchungen beziehen sich vorwiegen auf methodisch leichter zu erfassende kleine Fließgewässer, zeigen jedoch, daß dieser Lebensraum von entscheidender Bedeutung ist. Inwieweit dies für Brut und Jungfische in großen Strömen zutrifft, ist weitgehend unbekannt.

Neben der Zugänglichkeit der verschiedenen Habitate während des Heranwachsens der Fische spielt auch die Wandermöglichkeit der erwachsenen Fische eine entscheidene Rolle. Untersuchungen an der österreichischen Donau und an der Mittleren Elbe belegen die große Bedeutung der lateralen Wanderung, d.h. die vielfältigen Beziehungen zwischen Strom und den einzelnen Gewässertypen der Talaue. Unbekannt sind die Bedingungen unter denen sich Wanderbewegungen zwischen einzelnen Teillebensräumen vollziehen und das Ausmaß dieser Ortsbewegungen.

Neben den lateralen Ortsbewegungen bestehen erhebliche Wissensdefizite bezüglich der longitudinalen Wanderung, insbesondere der Kurzdistanz-Wanderer. Über Salmoniden, wie z.B. Lachs und Meerforelle, ist bereits sehr viel bekannt und ihre Bedeutung als Indikatoren für Wanderungshindernisse ist Allgemeingut. Erkenntnisse über Kurzdistanz-Wanderer, z.B. Quappe, Aland oder Zährte, sind hingegen kaum vorhanden. Diese und andere Arten führen ihre Wanderungen nur innerhalb mehr oder weniger großer Fließgewässerabschnitte durch. Deshalb werden ihre Lebensmöglichkeiten entscheiden von den in diesen Abschnitten herrschenden Bedingungen bzw. deren Ausstattung mit Strukturen und Ressourcen bestimmt. Die Erweiterung des Wissensstandes über diese Gruppe von Fischarten würde die Bioindikation des ökologischen Zustandes von Fließgewässerabschnitten verbessern.

3.1.3 Prioritäre Forschungsaufgaben

3.1.3.1 Problemorientierte Auswertung vorhandener Untersuchungsergebnisse

Vordringlich ist eine Auswertung über die Auswirkungen wasserbaulicher Maßnahmen auf elbetypische Ichthyozönosen und einzelne Entwicklungsstadien des Lebenszyklus ausgewählter Indikatorarten. Dieser Teil der Literaturauswertung muß kurzfristig erarbeitet werden, um Eingriffe in die Morphologie des Elbestroms beurteilen zu können. Bei der Bearbeitung des Themas sollen die vorhandenen Querbauwerke berücksichtigt werden; prioritär sind allerdings die Auswirkungen des Buhnen- und Leitwerkbaus bzw. der -sanierung auf die Sohlen- und Uferstrukturen zu beurteilen.

Gleichzeitig dient die Literaturauswertung dazu, das bekannte Wissen über die Autökologie der elbetypischen Fischarten für die Definition von Leitbildern zusammenzustellen (vgl. Abschnitt 3.1.3.2).

3.1.3.2 Entwicklung ökologischer Leitbilder

Zur Erarbeitung ökologischer Leitbilder ist vorliegendes Wissen zu präzisieren:

  • Darstellung der spezifischen Lebensraumansprüche autochtoner Arten anhand qualitativer und quantifizierbarer Parameter, die im Lebenszyklus eine entscheidene Rolle spielen und
  • Rekonstruktion des naturnahen Zustandes unter Einbeziehung von Laich-, Aufwuchs- und Wandergebieten der Nebenflüsse und Auengewässer der Elbe.
Das vorliegende Wissen zur elbetypischen Fischfauna ergibt bereits ein klares Bild vom ursprünglichen Artenbestand. Zur aktuellen Artenvielfalt liegen ebenfalls ausreichende Daten vor, so daß Artendefizite abgeleitet werden können. Näherungsweise läßt sich auch die quantitative Zusammensetzung abschätzen.

Artbezogene Leitbilder sind zu erarbeiten und diesbezügliche Wissenslücken aufzuzeigen. Es ist zu klären, mit welchen Parametern die Autökologie einzelner Arten beschrieben werden kann. In kleinen Fließgewässern haben sich Parameter wie Breiten/ Tiefen-Varianz, Zahl der Unterstände pro Lauflänge, Korngrößen, Sauerstoffsättigung des Interstitials etc. bewährt. Für große Fließgewässer liegen ähnlich genaue Angaben nicht vor.

Eine grundlegende Forderung bei der Leitbilderarbeitung ist die Definition von Parametern und Indikatoren, die sowohl für die Fischbiologie als auch für andere Fachdisziplinen relevant sind. Beispielsweise ist zu klären, welche Parameter der Hydrologie, der Hydraulik, der Flußmorphologie geeignet sind, um die Lebensbedingungen von Ichthyozönosen und ausgewählten Indikatorarten zu beschreiben.

3.1.3.3 Biozönotische Untersuchungen

Neue Bestandserfassungen zur Charakterisierung des Elbesystems müssen sich sowohl an den bestehenden Wissensdefiziten als auch an den für das Leitbild, die Bewertung und den zu erarbeitenden Maßnahmenkatalog erforderlichen Fragestellungen orientieren. Ein weiteres Ziel ist es, die methodischen Möglichkeiten für künftigeländereigene Erfassungsprogramme zu ergänzen und die Interpretation der Ergebnisse, beispielsweise hinsichtlich Gefährdung und Schutz von Fischbeständen aber auch hinsichtlich ihrer Nutzung zu verbessern.

Zur Prognose der Populationsdynamik und zur Verbesserung der Bioindikation können begrenzte Bestandsaufnahmen für die folgenden Themen notwendig sein:

  • Erfassung und Bewertung der Laichplätze und Aufwuchsgebiete, insbesondere:
    • Erstellung einer kartographischen Übersicht der vorhandenen Laich- und Aufwuchsareale für repräsentative Abschnitte des Elbe-Einzugsgebietes.
    • Bewertung der Laich- und Aufwuchsareale hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Reproduktion von Populationen einzelner Arten oder von Fischbeständen. In zweiter Linie sind in diesem Zusammenhang auch Fragen zur Raum-, Nahrungs- oder Räuberlimitierung von Laich-Populationen von Interesse.
    • Aufstellung eines Kriterienkatalogs zur Bewertung von ökomorphologischen Strukturen hinsichtlich ihrer Eignung und Bedeutung als Laich- oder Aufwuchsareal.
    • Bedeutung des Interstitials der Elbe für die Reproduktion und Produktion der Fischfauna.
    • Beurteilung und Prognose der Auswirkungen wasserbaulicher Eingriffe auf die Qualität und Quantität bekannter Laich- und Aufwuchsgebiete (z.B. Habitat-Prognose-Modelle).
    • Einfluß der zeit-/räumlichen Dynamik von Hochwassern auf die Eignung von Überflutungswiesen als Laichareale.
    • Ableitung ziel- und leitbildkonformer Maßnahmenvorschläge für ausgewählte Gewässerabschnitte.
  • Ortsbewegungen und Migration, insbesondere:
    • Bedeutung der Abflußdynamik für die Erreichbarkeit und das Verlassen von Auengewässern.
    • Erfassung und Gewichtung der wichtigsten Laich- und Nahrungswanderungen (longitudinal, lateral, vertikal).
    • Erfassung und Charakterisierung der Lebensraumansprüche von Kurz-Distanzwanderern in ausgewählten, repräsentativen Abschnitten der Elbe.
    • Bioindikation des ökologischen Zustandes von Flußabschnitten durch Kurz-Distanzwanderer.
  • Methoden der Bestandserfassung
Wie Erfahrungen am Rhein zeigen, müssen für die Bestandserhebung von Fischen unterschiedliche Fangmethoden miteinander kombiniert werden, um zu verläßlichen, quantitativen Aussagen zu kommen. Dieser Umstand ist nicht nur von großer wissenschaftlicher Bedeutung, sondern stellt auch erhöhte Anforderungen an die Konzeption und Durchführung von Monitoringprogrammen. Die korrekte Interpretation von langfristig angelegten Erfassungsprogrammen, die zur kontinuierlichen Kontrolle des Zustandes der Fischfauna aufgelegt werden, ist auf eine zeitlich und räumlich vergleichbare Datenbasis und damit auf eine Vereinheitlichung der Fangmethoden angewiesen. Deshalb hat die fischökologische Forschung im Rahmen der Bearbeitung der oben genannten Themen auch die Aufgabe, kommende Monitoringprogramme konzeptionell und methodenkritisch vorzubereiten.

Dazu gehören:

  • Formulierung der spezifischen Möglichkeiten und Grenzen bestimmter Fangmethoden.
  • Vorschläge für die Kombination von Fangmethoden und ihre Optimierung unter dem Gesichtspunkt finanzieller und personeller Einschränkungen.
  • Vorschläge für Untersuchungsräume, die bei Langfristprogrammen standardmäßig erfaßt werden müssen.
  • Vorschläge für eine opzimale zeitliche und räumliche Strukturierung von Monitoringprogrammen.